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RezensionSi.Si. Klocker: Grete GulbranssonLeer- und Wanderjahre einer Dichterin. 1000 und 1 angerissene Geschichte aus dem Waffenarsenal europäischer Länder im ausgehenden 20. Jahrhundert.Wien: Das fröhliche Wohnzimmer-Edition 1998, 80 Seiten.Nicht tausendundeine Geschichte sind.in diesein Buch versammelt, sondern knapp neunzig. Und gerraugenommen sind es nicht einmal Geschichten, vielmehr Episoden, Gespräche, Begebenheiten und Situationen, mal realistisch, mal bizarr, mal witzig und mal verzweifelt doch stets ohne erkennbaren Anfang und ohne sichtbares Ende. Sie sind in loser Folge aneinandergereiht, indessen auch stets verbunden durch die fortwährende Suche nach den Wurzeln des eigenen Ich und der Verortung der persönlichen Identität in der Welt. Si.Si. Klocker schickt die österreichische Dichterin Grete Gulbransson, die von 1882 bis 1934 lebte, auf diese nie endende Suche, ausgerüstet mit unendlichen Fragen, auf die sie - das sei hier bereits vorweggenommen - keine Antworten finden wird. Die echte Grete zog ebenso aus, von ihrem Heimatland Vorarlberg in die Stadt München, um ihren Traum, Dichterin zu werden, zu verwirklichen. Dort traf sie Künstler und Schriftsteller wie Hesse, Kubin, Langen, Huch und Rilke, die ihre Auffassung von der Welt mitbestimmten. Sie war eine starke, unabhängige Frau, die schließlich nach zahllosen Reisen und Begegnungen in ihre Heimat, nach deren Harmonie und Natur sie sich imrner sehnte, zurückkehrte. Neben Publikadonen ihrer Gedichte und Romane sind es besonders ihre 220 Tagebücher, die Beachtung verdienen. In diesern Kontext versteht sich Si.Si. Klockers Band, der im Nachwort eine Veröffentlichung eines bisher unentdeckten Werkes suggeriert. Grete Gulbransson, "erste Dichterin im Namen der Leere" legt Zeugnis der Erlebnisse während ihrer Wanderjahre durch die Welt des ausgehenden 20. Jahrhunderts ab. Doch diese Welt hat sich verändert. Wilhelm Meister ist tot, aus der beschaulichen Wandemng, ist rastloses Flattern geworden und Lösungen der Dissonanzen und Konflikte des Lebens werden weder durch Entwicklung und Bildung noch durch eine unsichtbar wirkende Allmacht gelöst. Werden allgemein menschliche Eigenschaften skizziert, sind sie auf allgemein männliche reduziert. "Was den Mann ankündigt ist sein Motorengeräusch oder ham se je einen ohne jesehen. Starten: Brumm Kupplung. 1. Gang rein. Wegfahren könnern. Ihm ist alles recht. Auf einem Weg begegnet Grete einerseits Skurrilem, einer Buche beispielsweise, die sich dringlichst wünscht, Buch zu sein oder wüdgewordenen Agitorisieren, die sich, aufeinander gehetzt, gemeinsam auf einer Wiese tummeln, andererseits äußerst Faßbarem, "Hängemäulern in Diskothekengewühle". Die Diffusion von Wirklichkeit und Fiktion vollzieht sich heimlich; es geht um die Darstellung grenzenloser Gegensätze - eines der bemerkenswerten Mittel dieses Buches. Der Autorin gelingt es, Ernst und Witz, Alt und Neu, Alltägliches und Wunderbares ineinanderfließen zu lassen. Die Autorin geht ebenso widerstandslos in die Person der Grete Gulbransson über, wie deren Sprachduktus von einem 90er Jahre Kauderwelsch abgelöst wird. Dabei ist es nicht immer einfach, dem Text zu folgen, genausowenig, wie ein Leben stolperfrei und in ebenmäßigen Schritten geführt werden kann. Grete bewegt sich als Spiegelbild ihrer selbst, als Spiegelbild der Autorin und schließlich als unser eigenes, in einer Welt, die weder gutmütig noch fröhhch ist. "Ihr werdet euch daran gewöhnen müssen an die Antwortlosigkeit dieser Welt. So, so da werd ich nun endlich eLnma können. In Gedanken zu den toten Todeln, 2000 täglich sterben von den Kurden und es gibt keine Konzentrationslager?" Wir sehen Gleichgültigkeit und Trägheit, Golfkrieg und Tierversuche, Erstaunen vor Wiederholung und Anpassung; und immer wieder Leere, auch zwischen den Geschlechtern. Wir erfahren Angst vor der verwilderten, technisierten Männerwelt und erleben den täglichen Kampf um das Erreichen nicht genau definierbarer Ziele. Wir begleiten Grete bei ihren Versuchen, sich von leeren Traditionen abzunabeln, gegen Passivität und Kälte zu rebellieren und allen denkbaren Gefängnissen zu entfliehen. "Meutern wollte sie GRETE GULBRANSSON gegen die ganze verdammte Welt! Weg von sich veräußernden, den leerblickenden Gesichtern rund um sie herum." So sehen wir sie Überlebensstrategien entwickeln - GRETE GULBRANSSONS Reformgedanken: ein New Age Lippenbekenntnis au der Suche nach der all-idealen Ich-Integration: Gebet zum Schutz des eigenen Ichs innerhalb der postindustrialisierten High-Tech und multivernetzten Welt im ausgehenden 20. an der Schwelle zum 21. Jahrhundert - und mit ihnen scheitern, da diese wider ihre Natur sind. Doch dann ist da auch, für kurze Momente, Ruhe, Erkenntnis der Alles vermögenden Natur und die warme Sehnsucht nach der Urmutter ("Kunterbuntmutterfraumädchenattejungmutter") und dem unendlich wiederkehrenden Prozeß des Geborgenseins und Geborenwerdens." Die kosmische schwarze Finsternis die uns ummantelt ewige Eneee die nicht muß und alles ist das was nicht beschrieben werden kann das Unsichtbare Große das Wiegen im Schoße das Strampeln im kosmischen Uter-rus das Wiegen und Wassern das Stillen und Saugen." Auf ihrer Reise hinterfragt Grete für uns ständig; die eigene Individualität, Ansprüche und Lebbarkeit und selbst den Inhalt ihrer kostbarsten Lebensgrundlage, der Sprache. Doch die ist es gerade, die den besonderen Reiz des Buches ausmacht Sie widerfährt uns vielfältig - wie die Welt: ruhig, spitz, plätschernd, schneidend bis an die Schmerzgrenze, durchzogen von Anglizismen und Fachvokabular. Amtsstil folgen Binnenreime, gefolgt von dialektgefärbten oder alliterierenden Sätzen. Ist Grete Gulbransson in ihrer desillusionierenden Antwortlosigkeit also ein betrübliches, pünklich zur Jahrhundertwende Endzeitstimmung transportierendes Buch? Vielleicht. Gäbe es da nicht diesen sagenhaften Humor und hinter jedern Wort auch dieses Augenzwinkem, das die Autorin ihrer allerersten Illustration vor Beginn des Buches, in deren Fernsehgerätkopf gezeichnet hat.
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